Trottoir


In »Germany« würde diese Rubrik sich »street – art« nennen, aber ich schwärme für »Allemagne« – drum »Trottoir«. Sehr wichtige Impulse kommen von der Klassischen Moderne her und ihrer Hauptstadt, dem Paris der Jahrhundertwende von 18 zu 19 und seinen hier agierenden Künstlern – Liberté, Égalité, Fraternité – ist mir näher als die Märchen von den Tellerwäschern, die Millionäre werden. Mit »the art« ist mir in den letzten zwei Jahrzehnten die Kunst in der öffentlichen Wahrnehmung und Rezeption zum reinen Business verkommen. Und die Medien frönen dem Spektakel. Ich schäme mich »Matisse« du hast gehungert für die Freiheit der Kunst.

Seit Jahrzehnten treibt es mich immer wieder auf die Straße, an die Wände der Städte, um meine Meinung der Öffentlichkeit kundzutun. Rainer, der Einzelkämpfer rüpelt aus dem Underground. Als kleiner Junge habe ich geübt, das Zeichen des Filmhelden Zorro in die Hauswände gekratzt mit einem Stein. Etwa 1969-70 die erste große illegale Aktion, Graffiti mit Pinsel – den Steini, Ziege, Luberger konnte ich zum Mitmachen überzeugen. Der Luberger hatte so richtig schöne knallige Farben aus Amerika mitgebracht, und im Hippiegeist wurden die Wände unserer Schule bemalt mit Peace-Zeichen und einigen Begriffen, an die ich mich nicht mehr genau erinnern kann. Am nächsten Tag unser und mein erstes großes Publikum: die ganze Schule. Der Rektor war entsetzt, die Polizei protokollierte und ein Malerbetrieb brachte noch am gleichen Tag alles in Ordnung. Das war in Dinslaken.

Der sich selbst unbewusste Künstler unternahm noch viele absurde Handlungen im Straßenraum.

Viele Jahre später, damals als Willy Brand starb, kam mir eine kleine Träne, zudem wurde mir seltenes Glück zuteil, ein Plakat finanziert zu bekommen. Tausend mal klebte ich in Berlin und dem Ruhrgebiet die »Todesfuge« von Paul Celan, ein Zitat vom Willy, dass man für Demokratie kämpfen muss und der wichtigste und erste Paragraph aus unserem Grundgesetz: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. ...« Ein Christus steigt vom Kreuz. In seinem Antlitz ein Judenstern und links unten ein kniender Mensch. Ich musste das Wenige tun, denn es war auch das Jahr, wo es ausbrach – das Brandschatzen und Morden von Jugendlichen, menschenverachtend auf der Suche nach neuen Opfern.

Es ist ein Thema in meiner Kunst geblieben, über die Würde des Menschen zu zeichnen, malen, reflektieren, diesen Begriff zu stabilisieren und seinen Inhalt auszubauen. Die Welt braucht mehr Menschlichkeit und ein Denken dazu über Generationen tragend, auch ins Universum hinein.

Plakatierungsaktionen wurden einige unternommen. Gegen die Hartz-Gesetze, die ich als »Luxusknast mit Taschengeld« bezeichne, wurde intensivst geklebt, locker fünftausendmal in den Jahren 2003 bis fünf und es bleibt Thema in meiner Kunst, Antiarmut in Deutschland und dem Rest der Welt. WER DEN KAPITALISMUS LIEBT UND IHN OPTIMIEREN WILL, SOLLTE MIT DIESEM DIE ARMUT AUS DER WELT ARBEITEN.

Meine Kunst des Trottoir beschränkt sich nicht darauf, Hauswände und Laternenpfähle zu bemalen und zu bekleben. Es wurden und werden Bilder und Skulpturen dem Stadtraum geschenkt, bis hinaus zum Stadtrand, in die Wälder, auf das Land – zur land-art geformt.

Dann gab es politische Aktion auf der Straße, mehrere beim »Karneval der Kulturen« oder damals am 24.12.2005, als Weihnachtsmänner gekleidet, spazierte ich mit Tibor und Andree, unsere Pappschilder auf Bauch und Rücken geschnallt und da stand geschrieben: »Wir wollen Volksabstimmung«.